Wir sind alle Weltmeister!

Wir sind alle Weltmeister!

Was wir von Spitzensportlern lernen können

Sport bedeutet oft unendliche Leidenschaft, große Kraft und viel Mut zugleich – vor allem wenn man von Sieg zu Sieg eilt und die Leistung stetig steigt. Nicht selten schmerzen aber auch die weniger guten Erfahrungen, die auch den sportlichen Alltag prägen können. Dennoch sind diese vermeintlich negativen Momente für den individuellen, sportlichen Erfolg und auch für das allgemeine, gesamte Leben notwendig. Unverzichtbar. Entscheidend. Was macht den Unterschied zwischen einem sehr starken und einem weniger siegreichen Sportler aus? Warum schaffen es einige Athleten an die Weltspitze und halten sich dort sogar für mehrere Jahre und andere verzweifeln bereits beim sprichwörtlich ersten Stein, der im Weg liegt? Als Trainer vieler erfolgreicher Athleten und Hobbysportler möchte ich heute etwas Licht ins Dunkel bringen und zwei starke Frauen zu Wort kommen lassen, die ich selbst trainieren durfte. Beide haben ihre jeweilige Sportart über Jahre geprägt, dominiert und dabei so viel erreicht aber sind dennoch mit beiden Beinen fest auf dem Boden geblieben: Die Doppelolympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin im Biathlon Andrea Henkel (jetzt Burke) und Regina Halmich, die mehr als 12 Jahre ungeschlagene und 46-malige Weltmeisterin im Boxen.

Geschafft! Regina kämpft sich die letzten Treppenstufen nach oben und holt dann tief Luft. Das schnelle, gleichmäßige Ein- und Ausatmen erfolgt angestrengt aber absolut professionell und konzentriert. Schnell beruhigt sich ihr Puls wieder. Beide Arme in der Hüfte abgestellt schaut sie mich mit erhobenen Daumen und einem stolzen Lächeln an. Laufeinheiten waren noch nie wirklich ihr Ding, aber Aufhören war erst recht nicht eine Option. Heute nicht. Und damals erst recht nicht. In den letzten 60 Minuten sind wir unzählige Male die Treppenstufen mitten im Berliner Regierungsviertel auf und ab gerannt und haben dabei alle verschiedenen Lauftechniken genutzt, die ich mir für diese Trainingseinheit überlegt hatte. Jede Stufe einzeln, alle zwei Stufen, Kniebeugensprünge und so weiter. Nein, ein Intervalltraining im Februar bei Nieselregen ist nicht schön, aber einfach kann jeder. Mit 41 Jahren ist Regina immer noch topfit und das Leuchten in ihren Augen zeigt mir, dass sie stets für den Sport und all das, was er ihr gegeben und manchmal auch genommen hat, lebt. Als aktive Profisportlerin ist Regina fast täglich an ihre Grenzen gegangen und oft darüber hinaus. Das zeichnet für Sie einen Spitzensportler aus: „Wer aufhört wenn es weh tut, hat keinen Erfolg. Dafür benötigt man viel mentale Stärke und Disziplin.“ Auch jetzt, nach ihrer Karriere trainiert sie noch regelmäßig, allerdings nicht mehr ganz so verbissen wie früher, denn nun stehen Gesundheit und Wohlbefinden anstatt WM-Gürtel an erster Stelle. Regina bestätigt mir das, was ich als Athlet und Trainer selbst kenne und in vielen Trainingseinheiten auch mit anderen Sportlern erfahren haben: Es gibt keine Wunderpille für den Erfolg. Harte, kontinuierliche und ehrliche Arbeit sind dabei die gewinnbringenden Schlüssel. Ich kann Ihnen versichern, dass jeder Spitzensportler den Sie kennen und vielleicht auch nacheifern sehr hart für den Erfolg arbeitet. Hinter jeder Medaille, jedem Pokal und jedem Siegertreppchen stecken jahrelanges Training und Fleiß. Vergessen Sie all die nichtssagenden 3-Wochen-Fitness-Programme, die Ihnen maximalen Erfolg in kürzester Zeit versprechen. Alles Quatsch! Der Erfolg ist nichts, das einfach passiert. Nein, der Erfolg wird erlernt und trainiert. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Natürlich gibt es Motivationstricks, die dabei helfen, die Grenzen weiter zu verschieben, um letztlich erfolgreich zu sein. Regina und ich schmunzeln vor allem über diese eine einfache aber dennoch unendlich starke Anekdote, die sie zu Höchstleistungen angespornt hat: „Ich habe mir immer meine Gegnerin vorgestellt, wie sie mir meinen WM Gürtel wegnehmen möchte. Der Gedanke hat mich stets sehr beunruhigt aber gleichzeitig zu Höchstleistungen angespornt.“

Ortswechsel. Die Biathlonarena von Oberhof wirkt bei mehr als 30 Grad plus im Schatten staubtrocken und stumm. Wie eine Kleinstadt in einem Westernfilm. Es fehlen nur noch die Strohballen, die durch die Straßen geweht werden. Vor gut sechs Monaten feierten hier im Schnee bei Minusgraden noch zehntausende begeisterte Wintersportfans die Athleten und spornten diese zu Höchstleistungen an. Nun sind nur noch die Sportler und jungen Talente übrig geblieben, die für den Erfolg im nächsten Winter trainieren. Auch im Hochsommer. Andrea und ich laufen in hohem Tempo an der nach ihr benannte Henkelschleife vorbei und machen uns bereit für das Schießen im stehenden Anschlag. Eine kurze Unaufmerksamkeit auf den sperrigen Sommerskiern mit den dicken Rollen bringt mich aus dem Laufrythmus und die zierliche aber ungemein starke Frau zieht problemlos an mir vorbei und feuert die ersten Schüsse ab. Andrea Henkel ist mittlerweile 40 Jahre alt, heißt jetzt Burke und wohnt mit Ihrem Mann Tim – ein ebenfalls erfolgreicher Biathlet der Amerikaner – in den USA. 2014 beendete sie ihre einmalige Karriere ist aber immer noch fit wie eh und je. Kürzlich hat Andrea ihren ersten Marathonlauf überhaupt absolviert. In 3 Stunden und 8 Minuten! Der Sport ist zu einer gesunden, dauerhaften Routine in Ihrem Leben geworden und nicht mehr wegzudenken. Oft reden wir beiden nach den gemeinsamen Trainingseinheiten bei einer Apfelschorle über ihre Erfolge in all den Wintergebieten dieser Welt und die kontinuierliche Motivation immer das Beste zu geben. „Mir war und ist es immer noch wichtig, dass ich, wenn ich eines Tages zurückblicke, mir keine Selbstvorwürfe machen muss. Ich möchte mir mit 85 Jahren nicht vorwerfen müssen, das ein oder andere nicht mit vollem Einsatz zumindest versucht zu haben. Dieses Motto habe ich seit 2004 in mir und es hat mich nach zwei schlechten Jahren zurück an die Weltspitze gebracht und sogar noch weiter nach oben, als zuvor.“ Das zeigt uns, wie enorm wichtig es ist, sich immer wieder Ziele zu setzen – im Sport aber auch im Leben. Ohne Ziele verlieren wir den Fokus auf das Wesentliche und irren orientierungslos durch den Alltag. Wenn Sie sich im Training immer wieder neue Grenzen und Ziele setzen – physisch aber auch mental – dann werden Sie diese positiven Erlebnisse auch unweigerlich auf viele anderen Bereiche Ihre Lebens einen starken Einfluss haben. Dabei gibt es keine Limits, sondern nur einzelne Stufen. Sie dürfen dort nicht stehenbleiben, sondern müssen versuchen kontinuierlich über diese hinauszugehen. Schritt für Schritt Ihren Zielen entgegen. Immer bereit und fokussiert.

Leider setzen viele Hobbysportler aber auch Athleten in der heutigen Zeit die gesteckten Ziele immer mal wieder zu hoch an und sind dann frustriert, wenn diese nicht sofort erreicht werden. Ein erfolgreicher Athlet denkt und handelt Schritt für Schritt, denn der Erfolg ist eine Treppe und kein Fahrstuhl. Dies sind Tugenden die problemlos auch auf all die anderen Bereiche unseres Lebens übertragen werden können. Die richtige und vor allem positive Einstellung zu den selbst gesteckten Zielen ist dabei enorm wichtig. Regina meint dazu: „Der beste vorbereitete Körper nützt nichts, wenn der Glaube an sich selbst fehlt. Deshalb ist der mentale Aspekt enorm bedeutend. Wer zweifelt, verliert!“ Das sitzt. Wie ein rechter Haken. Für Andrea Burke sind das praktische Training und die mentale Stärke ebenso die wichtigsten Komponenten, um dauerhaft Erfolg zu haben: „Man kann sich noch so gut ernähren und mental stark sein, wenn der Körper nicht trainiert ist, kommt man nicht weit. Im Hochleistungssport entscheiden natürlich oft Nuancen, und dann kommt die mentale Stärke zur Geltung, die vor allem im Biathlon beim Schießen eine wichtige Rolle spielt kann. Wenn man gut trainiert ist, entscheidet es sich oft bei diesem einen letzten Anschlag, ob es noch aufs Podest geht oder eben nicht.“ Was können wir von diesen beiden starken Frauen lernen? Gehen Sie Ihren Weg bis zum Ende und lassen Sie sich nicht äußeren Einflüssen vom Ziel abbringen. Natürlich kann es nicht immer nur nach oben gehen. Auch Niederlagen gehören dazu. Das gilt im Sport aber auch im gesamten Leben. „Aus meinem Leben als Leistungssportlerin habe ich mitgenommen, dass Rückschläge dazu gehören, dass sie sogar sehr gut sein können. Meine zwei schlechtesten Jahre 2003 und 2004 waren gleichzeitig auch meine wertvollsten“, sagt die ehemalige Biathletin. Diese Einstellung der Biathletin prägt auch mein eigenes Leben. Oft muss man erst verlieren, um zu lernen, wie man gewinnt. Ich bin der festen Überzeugung, dass es vor allem die schwierigen Momente in unser aller Leben sind, die letztlich über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Im Sport. Im Job. Jeden Tag aufs Neue. Wenn etwas „rund“ läuft, dann können wir die ganze Welt umarmen und viele Dinge ergeben sich fast von allein. Aber wir gewinnen vor allen auch in Zeiten, wenn es eben mal nicht ganz so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben. Wenn etwa beim Training die Muskeln schmerzen, man immer wieder hinfällt und diese eine kleine Stimme im Kopf versucht, uns zum Aufgeben zu überreden. Dann, genau dann wird die andere Stimme lauter und sagt: „Steh auf! Halte durch und glaube stets an Dich.“ Die stärksten Gewinner sind die, die immer wieder mit dem Herz in der Hand aufstehen und niemals aufgeben, wenn sie einmal verloren haben. Dabei ist es nicht wichtig, wie groß der erste Schritt ist, sondern in welche Richtung er geht. Wer kämpft kann und darf auch verlieren. Wer aber für immer aufhört zu kämpfen und zu glauben, wird niemals gewinnen. Egal ob Weltmeister oder Hobbysportler. In unserer heutigen Zeit, in der einzelne Sportarten immer mehr als ein Marketinginstrument angesehen und genutzt werden sollten wir wieder versuchen, das Wesentliche zu erkennen. Es geht nicht darum, die neueste, tollste, grellste und teuerste Trainingskleidung zu präsentieren, sondern durch den Sport ein positives Gefühl für sich selbst und die eigene Leistung zu entwickeln. Dann haben wir schon gewonnen. Die Hauptmotivation der mehrfachen Boxweltmeisterin für den Sport ist simpel aber absolut entscheidend: „Die Disziplin, der Respekt im Umgang mit anderen Menschen und die Leidenschaft in allen Bereichen des Lebens sollten stets an erster Stelle stehen.“